„Man muss Geduld haben mit den Leuten.“ Angst und Hysterie am anderen Ende der Leitung sind Alltag für Hauptbrandmeister Eckhart Bubel (55) aus Borlas. © ronaldbonss.com

Der Mann mit der schnellen Nummer
Am 11.2. ist Tag des Notrufs – für Disponent Eckhart Bubel ist das Alltag. Oft geht es dabei um Leben und Tod.

Ob ich mal einen „Hosentaschenanruf“ hören möchte? Eckhart Bubel reicht mir den Kopfhörer: Geraschel, Schritte, dumpfe Stimmen. Klarer Fall. Hier hat sich ein Handy selbstständig gemacht und die 112 gewählt. Ein Dutzend Mal am Tag kann das vorkommen. Für gewöhnlich ignoriert er die Fehlrufe. Nur wenn das Notsignal aus immer derselben Hosentasche kommt, ruft Bubel zurück und beendet den Spuk. „Das kann sonst sehr störend sein.“

Am Samstag ist der Tag des Notrufs 112. Die EU hat den 11. 2. dafür ausgesucht, weil das Datum dieselbe Zahlenkombination trägt wie die Notfallnummer. Diese Nummer gilt mittlerweile in allen Unionsstaaten. Nur weiß das fast keiner. Laut Umfragen ist nur etwa ein Fünftel der Deutschen darüber informiert, dass man unter 112 europaweit Hilfe kriegt.

Für den 55-jährigen Rettungsassistenten Eckhart Bubel aus Borlas bei Dippoldiswalde ist jeder Arbeitstag ein Tag des Notrufs. Bubel ist Disponent in der Regionalleitstelle Dresden-Übigau. Hier laufen alle Hilferufe zusammen, die zwischen Schöna und Strehla, zwischen Sebnitz und Nossen abgesetzt werden. Etwa 1,1 Millionen Menschen leben in dieser Region. Bubel kümmert sich zumeist um die Notfälle im Osterzgebirge und in der Sächsischen Schweiz. In einer Zwölf-Stunden-Schicht kommen bei ihm schon mal 140 oder 150 Anrufe an, woraus bis zu fünfzig Rettungseinsätze werden.

Seit sechs Uhr, vier Stunden, sitzt Eckhart Bubel heute schon am Disponententisch, und die Liste der Notrufe ist bereits beachtlich. Mit dabei: ein halbes Dutzend Herzbeschwerden mit Atemnot, unstillbares Nasenbluten, zwei Reanimationen. Eine Frau fand ihre betagte Mutter im Bett, schon totenstarr. „Da ging nichts mehr“, sagt Bubel. Dann stieß jemand auf seinen bewusstlosen Nachbarn. Er atmet noch, hieß es am Telefon, keine blauen Lippen. Er wurde in die stabile Seitenlage gebracht. Bubel wähnte den Mann außer Gefahr, doch im Rettungswagen starb er. Das hat ihn getroffen. Hätte er mehr tun können? Schon 24 Jahre ist er Disponent, keineswegs abgestumpft, doch auch Profi genug, um nicht in Grübelei zu versinken. „Man muss mit den Tatsachen leben.“

Wie lebt er damit, am anderen Ende seiner Leitung so oft Angst, Verzweiflung und Aggression zu hören, kurz: Menschen im Ausnahmezustand? Man muss Geduld haben mit den Leuten, sagt er, versuchen, einen Draht zu finden. Das ist oft nicht leicht, vor allem, wenn die Anrufer hysterisch sind oder, wie es jetzt immer öfter vorkommt, kein Wort Deutsch sprechen. Auf Englisch oder Tschechisch kann Bubel ganz gut mithalten. Aber arabisch spricht er nicht. Im Zweifelsfall geht er auf Nummer sicher, schickt den Rettungswagen los, auch auf die Gefahr hin, dass sich der Einsatz als „Schnulli“ herausstellt.

Das Rotlicht über Bubels Tisch flammt auf. Es gibt Arbeit. „Notruffeuerwehrrettungsdienstbubelgutentag…Was ist denn passiert, erzählen Sie mal…Hm…Adresse?…Welcher Ort?…Reagiert er, guckt er Sie an?…Atmet er noch?…Zuckerkrank, wissen Sie was?…Mit Reanimation kennen Sie sich aus?…So weit, so gut…in zehn Minuten sind wir da!“

Jemand hat in Freital einen Mittfünfziger mit Schnappatmung gefunden. Gute Kommunikation mit dem Helfer, und wie Herzdruckmassage geht, weiß er auch. Das ist viel wert, sagt Bubel. Er klickt auf seinen Monitoren hin und her. Verflixt. Fünf Rettungswagen in der Stadt und keiner ist frei, um zu dem blauen Sternchen auf der Computerlandkarte zu fahren, das den Einsatzort markiert. Bubel muss den Rettungswagen in Dorfhain alarmieren und den Notarzt in Dipps. Wird knapp mit den zehn Minuten. Aber für den Helfer vor Ort ist die Ansage motivierend. Und das zählt jetzt.

Zehn Minuten sind Vorschrift. Mindestens zu 95 Prozent soll der Rettungswagen in dieser Frist eintreffen. Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gab es 2015 über 47 000 Notfalleinsätze. Jeder vierte Wagen war nicht pünktlich. Deshalb wird der Wagenpark jetzt weiter aufgestockt. Doch wenn es der Zufall will, nützt auch das nichts, sagt Bubel. Dann rollt an einem Ort eine Notrufwelle los, während anderswo totale Ebbe herrscht. Demonstrationsweise klickt Bubel ins Gebirge hinein. Und richtig: Ob Altenberg, Glashütte oder Frauenstein – alle Wagen stehen beschäftigungslos in ihren Wachen.

Doch schon meldet der Rechner die Ankunft des Notarztes bei dem Mann mit der Schnappatmung. Nach elf Minuten. In Anbetracht der Umstände ist das eine akzeptable Zeit, findet Bubel. Der Rettungswagen ist auch schon nahe und wird hoffentlich bald den „Status 7“ funken. Das ist der schönste Moment für Disponent Bubel an so einem Arbeitstag, denn die Meldung bedeutet: Patient an Bord und auf dem Weg ins Krankenhaus.

 

Bericht von Jörg Stock (Freigabe Sächsische Zeitung)

11.2 Tag des Notrufs
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